Fiasgo
Zu Fiasgo
Die künstlerische Gemeinschaft des „Symposions Weißenseifen“ wuchs in den achtziger Jahren zu einem großen Ensemble mit starker personeller Fluktuation. Eine überschaubare Gruppe ging in den frühen Neunzigern eigener Wege, um andernorts das beständige Zusammenspiel in konzentrierterer Runde auszuprobieren. Wir begannen, uns in Oberhessen zum „Sommern auf dem Dürresberg“ zu treffen. Auf der ersten Einladung stand das Motto „Aushecken in Hanglage“. Was in diesem Kreis unter freiem Himmel oder improvisierten Dächern ersonnen und getan wurde, nahm als Projekt „Freunde internationaler Augustspiele Gonterskirchen“ (Fiasgo) Fahrt auf.
Zu dem Dutzend Frauen und Männern aus Hessen, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen gesellten sich eine Französin und ein Italiener. Grenzüberschreitend waren auch die versammelten Biografien, Motive und Talente. Der freischaffende Künstler mit halbwegs legendärer Vita mischte ebenso mit wie die Lehrerin, die das Plastizieren bei Albrecht Klauer-Simonis gelernt hatte, der Doktorand mit Hang zum Deklamieren ebenso wie der Taxifahrer, dessen Drang nach Schauspielerei hinterm Steuer gewachsen war.
Die Zusammenarbeit am Fotoroman über das fatale Wirken der Fee Silvana gab uns die Möglichkeit, Literatur, Darstellendes Spiel, Bühnenbildnerei und Fotografie miteinander zu verknüpfen. Daraus resultierte das erste öffentliche Fiasgo-Abendprogramm, als Abschluss unseres dritten Augusttreffens veranstaltet an einem Gonterskirchener Kultort, der Grillhütte am Waldrand.
Danach erkannten die Verantwortlichen des „Kultursommers Mittelhessen“, denen auch daran gelegen ist, künstlerisches Treiben an ungewöhnlichen Schauplätzen zu ermöglichen, in Fiasgo eine Initiative, die es zu fördern lohnt. Und wir nahmen die Ausschreibungen des Kultursommers als Herausforderung und Chance, Ideen zu ersinnen und öffentlich auszuspielen. So entwickelte die Gruppe ihren experimentellen gattungsübergreifenden Ansatz weiter, inszenierte eigene Bühnenstücke mit eingebundenem Maskenspiel und Musik als „Revue“, komponierte und intonierte eigene Lieder, verwandelte Waldmeter bei Freistil-Prozessionen in theatralische Strecken, versetzte eine bemooste Wüstungsruine in ein Science-Fiction-Drama …
„Wie unökonomisch!“, entfuhr einer Journalistin, als ihr klar wurde, welchen Aufwand wir für jeweils einmalige Aufführungen mit wenigen Stunden Gegenwart betrieben.
„Ja, das wollen wir so“, bekam sie zur Antwort. Denn niemand von uns ist angetreten, Enthusiasmus mit Ökonomie zu versöhnen.
„Ein Spuk“, hörten wir manches Mal aus dem Publikum und freuten uns darüber. Leute erzählten uns davon, wie aufgeladen und zugleich unwirklich leer die Schauplätze des Fiasgo-Spiels am Tag danach in ihrer Alltäglichkeit dalagen: kein Theaterzelt mehr auf der Wiese, die Wanderbühne vom Waldweg verschwunden, die Autowerkstatt in den herkömmlichen Betrieb zurückgekehrt, die Kirchenruine der längst aufgegebenen Siedlung in ihrem Dämmerschlaf nur noch von Vogelstimmen und dem Rauschen der Wipfel erfüllt.
Einen „temporären Theaterbau“ errichteten Studenten 2010 für ein Festival auf einem Gießener Rasen. Ein Recht auf „Vorläufigkeit und Instabilität“ fordert William Kentridge für seine 2016 in Berlin ausgestellten Werke. Dass es Bestand nur befristet gibt, ermuntert uns zur Liebe des Moments.
Wenn der August kommt, erscheint wieder der alte Michael auf dem Dürresberg und begrüßt die Stämme des Buchenhains als Liniatur seines unermesslichen Skizzenbuchs. Auf der Hangwiese wachsen Zelte. Durch die Blätterkronen steigen vergängliche Stimmen in Richtung der Wolken, die anzupeilen uns reizt, auch wenn sich so kein Standpunkt orten lässt.
Einander zu erleben, für die Außenwelt aber bloß präsent zu sein wie ein Spuk, hat uns zwanzig Jahre lang angeregt und bewegt. Da rührt her, was wir uns jetzt vorgenommen haben: die „edition buschwerk“.
FIASGO-Programme im Mittelhessischen Kultursommer“:
- „Grenzgang mit Wanderbühne“ (1998)
- „Über die Ufer“ (2001)
- „Tisch mit zwei Stühlen“ (2003)
- „Boxenstopp“ (2005)
- „In die Wüstung“ (2007)
- „Kurs auf Kap Finisterre“ (2009)